Auszug aus  Bäckermeister Paul Günthers  Tagebuch,

das er während unserer Flucht aus Paschkerwitz führte

(minimale Änderungen im Text)

 

Am 20. Januar 1945, Sonnabend, trat an an uns die schwere Aufgabe heran, die Heimat zu verlassen. Da die Abreise zeitiger als vorgesehen und bekannt gegeben worden war, erfolgte, war ich mit meiner Arbeit in der Backstube noch nicht ganz fertig.

Den nächsten Tag, Sonntag, sollte Konfirmation sein, und so blieben 6 Torten, die noch nicht ganz fertig waren, stehen. Auch in vielem anderen waren wir nicht genügend vorbereitet. 60-62 Ztr Mehl, 10 Ztr Salz,100 Ztr Briketts, 3 Enten, Hühner, 2 etwa 5.5 Ztr wiegende Schweine mußten wir außer vielen Kleidungsstücken, auch etwa 45  Büchsen Konserven in Obst und Früchten, zurücklassen. Nur etwa 30 kg Gepäck sollten wir pro Person mitnehmen. Doch die Bauern mit eigenem Gespann hatten mehrere Ztr Gepäck außer ihrem Pferdefutter.

 

Emma (Schwiegertochter) und ich fuhren mit Hermann Weiß, und es ging an diesem Sonnabend abend über Heidekretscham bis Dominium Henningsdorf, wo wir im Kuhstall übernachteten. An Schlaf war nicht zu denken. Wieviele Wagen, Pferde und Trecker unser ganzer Troß zählte, vermag ich nicht anzugeben. Am nächsten Tag, einem Sonntag, fuhren alle Pferdegespanne bald weiter, auch Emma. Ich war, da ich beim Weiß auf dem offenen Wagen fahren mußte, in einem Dominium-Wagen mit Trecker gestiegen. Dieser blieb den ganzen Sonntag über bis Montag früh in Henningsdorf, um dann erst die Fahrt fortzusetzen. Wir haben die ersten Wagen bis zu unserem Bestimmungsort nicht mehr eingeholt. Von Henningsdorf ging die Fahrt über Obernigk, Wohlau bis kurz vor Leubus, wo wir in einer bereits stillgelegten Schule übernachteten. In den Privaträumen des Lehreres standen Tisch, Stühle und Schlafgelegenheit zur Verfügung.

 

Dienstag früh ging es weiter durch Schnee und Eis sowie schwere Steigung der Straßen. Größere Verkehrsstärke durch andere Flüchtlingstrosse ließen nur ein langsames Vorwärtskommen zu. In einer weitläufig gebauten Kolonie, Friedensort, fanden wir in einem Tiefbauunternehmen gutes Nachtquartier. Frau Kiefer, Dreßler, Felske und unser Mädel Else Klose haben sich um mich bemüht und gut versorgt. Befremdet hat es mich, daß viele von den Mitreisenden geschwollenen Augen bekommen haben, obwohl es gar nicht kalt und auch gutes Wetter war.

 

Mittwoch, den 24. früh in Friedensort ab bis Merkschütz, 15 km von Jauer. Auf diesem Teil der Fahrt ging es über einen Höhenzug, wo unser Troß geteilt die einzelnen Wagen durch Schieben und Stoßen der Mitfahrer und Vorspann der Trecker vorwärts und über die Höhen geschoben werden mußte. Die Straßen waren so vereist, daß die Zugmaschinen  nach der einen oder anderen Seite abglitten, ohne den angekoppelten Wagen den Berg hinauf vorwärts zu bringen. Hier war es auch, wo dem Felske Günter, der beim Stoßen ausglitt, ein Rad eines Lastanhängers über die rechte Hand fuhr, ohne ihn besonders zu verletzen

In Merkschütz traf ich auch Emmas Mutter und Schwestern und viele andere aus Zedlitz. Obwohl sie bereits einen Tag früher abgefahren waren, ging es bei denen noch langsamer zu, so daß wir sie hier einholten. Manchmal ging es nur 20 oder 30 m vorwärts, und schon saßen wir wieder fest.

 

Donnerstag in Merkschütz ab über Jauer bis Hermannsdorf. Eigentlich sollten wir im vorherliegenden Dorf Peterwitz untergebracht werden, doch einige Wagen waren zeitiger dort, und diese hatten sich in Peterwitz festgesetzt. Teile aus Zedlitz, Perschütz, Lossen usw. waren auch in Peterwitz. Wir Paschkerwitzer waren fast alle in Hermannsdorf untergebracht.

Emma, die bereits einen Tag zeitiger eingetroffen war, hatte ein angenehmes Quartier für uns drei und Frau Frost beschafft und nahm uns beim Eintreffen unseres Wagens in Empfang. Sie leitete uns in unser Quartier, wo wir am besten auf unserer bisherigen Reise untergebracht waren. Hier in Hermannsdorf blieben wir 14 Tage. Hier suchte uns Lisbeth (Tochter), Erich und Schwester Elfriede auf, und uns gingen die Augen über, uns so unerwartet gegenüberzustehen. Sie waren in Jauer untergebracht. Sie trafen dort bekannte Paschkerwitzer und hatten auf diese Weise von unserem Aufenthalt erfahren. Sie waren einige Tage zeitiger dort angekommen und mußten ebenso viele Tage zeitiger als wir aus Hermannsdorf wieder fort.

 

Freitag den 9.2.45 mußten wir Hermannsdorf und unser gutes Quartier bei Frau Matzel verlassen. Die Trecker Paschkerwitz, Güntherwitz, Zedlitz und Hartwasser mit je zwei dritten Lastwagen nahmen ihre Leute mit auch Emma und mich und fuhren am Freitag ab. Die übrigen Pferdegespanne sollten Sonnabend nachkommen. Unsere Reise ging über Görlitz, Zittau, auch durch Bernstadt i. Sa., wo wir auf dem Marktplatz einen Brunnen fanden, welcher eine Marmortafel mit der Aufschrift trug, daß hier die Erdachse sei.

Die Fahrt ging bis an das Gebirge. Glatt und schneefrei und teilweise trockene Straßen. Je weiter wir aber in das Erzgebirge, so heißt doch wohl das Gebirge, kommen, wurde die Straße steiler und schwerer zu befahren. An der schwersten Stelle kamen wir wegen Glatteis nicht fort und mußten einen anderen Weg über Kamnitz, Tetschen und Aussig nehmen. Hier ging die Fahrt ein langes Stück an der Elbe entlang. Von Aussig ging es über Teplitz-Schönau nach Brüx. An allen Orten, wo wir übernachteten oder Mittagsrast machten, wurden wir gut verpflegt oder untergebracht.

In Teplitz hatten wir zweimal Fliegeralarm und mußten beide Male in den Keller. Nach dem zweiten Mal war  ein heller Feuerschein in der allernächsten Umgebung zu sehen. Auch im Übernachtungsraum, einer großen Schule, waren Fenster gesprungen. Auch diese Nacht ging zu Ende. Am Vormittag des nächsten Tages, Donnerstag den 15. 2. 45. ging es weiter bis Brüx, wo wir mittags auch wieder auf der Straße und im Wagen verpflegt wurden. Nach einigen Stunden Fahrt, auch wieder durch Fliegeralarm gestört, kamen wir in Würschen, einem kleinen Dorf am äußersten Ende des Kreises Brüx, an. Bereits in dem Ort vorher, Schladnig, waren ein Teil unser Mitreisenden untergebracht worden. Die Unterbringung mußte sich auf mehrere Ortschaften ausstrecken. Im ganzen 7 bis 15 km auseinander wurden wir Paschkerwitzer untergebracht. Emma und ich blieben hier mit 40 anderen in Würschen. Wir beiden kamen zu Familie Dittrich, einem Bauerngut, wo wir in einem Zimmer  und Frau Kuhnert mit ihren drei Kindern in einem Raum untergebracht wurden.